Adventskalender des Inklusionsbüros 2020

Adventskalender des Inklusionsbüros 2020

Transkript

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Hallo,

mein Name ist Gerda Behrends. Ich bin 1956 geboren. Mit 2 Jahren bekam ich Kinderlähmung. Seitdem kann ich weder gehen noch stehen und rolle durch das Leben. Ich habe das große Glück, ein wirklich inklusives Leben zu haben. Das möchte ich gerne auch anderen Menschen ermöglichen. Seit 2008 arbeite ich beim Landesverband Lebenshilfe im Inklusionsbüro, seit 2014 nur noch auf 450,-€ Basis. Ich organisiere und leite den „Runden Tisch Barrierefreiheit Schleswig-Holstein“.

Ist durch Corona die Inklusion den Bach runtergegangen? Ich glaube nicht. Aber wenn ich darüber nachdenke, dann kommt es mir in mancher Hinsicht so vor, als ob die Corona-Situation den Inklusionsgedanken etwas verstrudelt hat.

Es ist ja Inklusion, wenn alle dabei sind und alle miteinander die gleichen Voraussetzungen haben.

Als Folge der Corona-Schutzmaßnahmen ist es nun so, dass plötzlich alle in vielen Bereichen eingeschränkt sind.

Das größte Problem ist sicherlich, Freunde und Verwandte nicht besuchen zu können. Das ist belastend und unangenehm. Menschen vereinsamen und leiden sehr darunter, sich nicht wie gewohnt gegenseitig besuchen zu können.

Ich kenne diese Schwierigkeit schon solange ich denken kann. Ich bin es gewohnt, auf ungewöhnliche Art meine Lieben zu treffen, weil ich als Rollstuhlfahrerin nicht in deren Wohnung kann. Ich kenne endlose Gespräche im Auto vor der Haustür meiner Freund*innen. Manchmal bringen sie Tee und Gebäck mit raus, und wir machen es uns im Auto gemütlich. Aber im Winter war s doch immer sehr schnell kalt. Ich kenne seit Langem das Bedauern, wenn ich meiner Tochter nicht schnell einen Topf voll Hühnersuppe vorbeibringen kann, wenn sie krank ist, weil ich nicht in ihre Wohnung kommen kann. Ich weiß, wie blöd es ist, nicht zu der Einweihungsfeier für die neue Wohnung meiner Freundin kommen zu können, weil die leider im 3.Stock ohne Aufzug liegt.

Insofern macht Corona uns jetzt alle ein Stückchen gleicher, wenn auch mit völlig anderen Hintergründen.

Ich kann in viele Läden nicht reinkommen, weil die Gänge zu eng sind. Jetzt ist das für alle ein Problem. Alle können plötzlich nicht in manche Läden kommen, weil dort zu wenig Platz ist.

Ich kann in viele Restaurants und Gaststätten nicht hineinkommen. Und in noch viel weniger kann ich dann auch mal zur Toilette. Jetzt haben alle das Problem, Gaststätten nicht nutzen zu können.

Last-Minute-Urlaub? Den konnte ich noch nie machen. Denn die meisten Hotels sind leider nicht barrierefrei, und vor einer Reise muss ich erstmal viele Telefonate führen, bis ich halbwegs sicher sein kann, dass ich am Zielort ins Hotel, dort ins Bett und ins Bad kommen kann. Nun können plötzlich alle keinen Last-Minute-Urlaub mehr machen. Wenn die Gründe auch andere sind, das Ergebnis ist, dass wir alle zu Hause bleiben müssen.

Ich wünsche der Inklusion, dass diese gemeinsame Erfahrung der Einschränkungen dazu führen, dass wir in Zukunft Barrieren mit mehr Verständnis füreinander abbauen. Ich hoffe, dass die wirtschaftlichen Probleme nicht, wie so oft schon geschehen, dazu führen, dass die Bemühungen um Inklusion „erstmal“ hintenan gestellt werden, sondern dass durch die gemeinsame Erfahrung, was es heißt, eingeschränkt zu werden, verstärkt Wege gesucht werden, wie wirklich alle Menschen gleichberechtigt miteinander leben können.

Allen eine frohe Advents- und Weihnachtszeit und ein frohes, gesundes neues Jahr!

Über diesen Podcast

Advent im Corona-Jahr 2020 - und das Inklusionsbüro Schleswig-Holstein fragt:
"Geht die Inklusion eigentlich gerade baden?"
Und: "Was wünschen Sie der Inklusion zu Weihnachten?"

Was für ein Jahr! Wer hätte in der letzten Vorweihnachtszeit schon gedacht, dass wir unsere Weihnachtseinkäufe in diesem Jahr wie selbstverständlich mit Mund-Nase-Bedeckung tätigen, dass niemand mehr darauf käme, seinem Gegenüber unverpackte, selbstgebackene Plätzchen anzubieten und dass wir am Ende dieses Jahres alle wissen, was wir unter systemrelevanten Berufen zu verstehen haben.

Und weil so Vieles anders war in diesem Jahr und nicht nur wir uns fragen, was das eigentlich mit unserer Gesellschaft macht, haben wir für Sie viele Perspektiven auf Inklusion im Land Schleswig-Holstein gesammelt. Entstanden ist ein bunter Strauß
unterschiedlicher Blickwinkel und Ideen, jedes Türchen öffnet quasi eine neue Perspektive auf die Inklusion im Corona-Jahr 2020. Manch eine legt Finger in Wunden, ein anderer macht Hoffnung und zeigt Chancen auf.
Freuen Sie sich auf diesen bunten Strauß vielfältiger An- und Einsichten und pflücken Sie sich jeden Tag eine neue Blume! :-)

von und mit vom Team des Inklusionsbüros Schleswig-Holstein

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